In zwei Tagen mit Kindern durch eine der atemberaubendsten Moorlandschaften der Schweiz
Auf diesen Moment habe ich mich den ganzen Sommer lang gefreut: Rucksack packen, Wanderschuhe anziehen und mit meinen beiden Töchtern los in die Greina. Mit ihren neun und sieben Jahren schienen sie mir inzwischen alt genug, die 1000 Höhenmeter von Vrin / Puzzatsch zum Pass Diesrut ohne grössere Diskussionen zu bewältigen und die Schönheit der Greina erfassen zu können.
Am Sonntagmorgen ging es los: Nach einer kurzweiligen Reise mit Bahn, Postauto und bus alpin wanderten wir Schritt für Schritt unserem Ziel, der Terrihütte entgegen. Nach rund zweieinhalb Stunden Wanderzeit folgt das erste Highlight beim Pass Diesrut, mit der grossartigen Aussicht auf die wannenartige Landschaft der Greina-Ebene. Der Snack und die Süssigkeiten aus dem Rucksack sind willkommen und wohlverdient.
Beim Aufstieg und Betrachten der Umgebung kommen mir immer wieder mir die Viehhändler aus der Lumnezia in den Sinn. Welche Strapazen mussten sie auf ihrem Weg durch die Greina auf sich nehmen, um das Vieh aus dem Tal im Herbst an den Rindermärkten im Tessin zu verkaufen! Eine der wenigen Gelegenheiten, damals an etwas Bargeld zu kommen und die Lebenshaltungskosten fürs vergangene oder bevorstehende Jahr zu decken (siehe dazu auch die Geschichte zur Wanderung #21 im Buch). Ich schaue auf meine munteren Töchter und bin dankbar dafür, wieviel einfacher wir es doch heute haben …
Schon bald folgt das nächste Highlight mit der vor einigen Jahren erbauten Hängebrücke. Wir nehmen die grössten der herumliegenden Steine und schauen, ob sie in der Schlucht zerschmettern. Fast 40 Meter geht es an der höchsten Stelle in die Tiefe (und nicht alle Steine sind zerbrochen).
Nach dem Überqueren der Brücke ist die Terrihütte schon fast zum Anfassen nah – und da folgt das dritte Highlight, mit dem wir nicht gerechnet haben: Die Hirten sind auf dem Rückweg mit ihren Schafen, eine nicht enden wollende weisse Kette von fast 1000 Tieren mit gelegentlichen braunen und schwarzen Tupfern erscheint am anderen Berghang. Das laute «Mäh», «Hüh» und «Hoh» nimmt uns in den Bann.
Und dann sind wir da und geniessen die Gastfreundschaft von Toni Tummler und seinem Team – und lassen uns von den Köstlichkeiten auf der Terrihütte und der sagenhaften Aussicht verwöhnen. Auf den Hängen der Muot la Greina zeigen sich ein paar Steinböcke respektive Steingeissen mit ihren Jungtieren. Am Abend verzaubern Nebel und Abendlicht die wunderbare Bergwelt.
Am nächsten Tag laufen wir gemütlich zu unserem nächsten Ziel: Die Scalettahütte im Tessin. Da wir von der Hütte aus direkt den kurzen Anstieg am Fuss der Muot la Greina nehmen, können wir die Moorlandschaft mit ihren mäandrierenden Wildbächen von oben bestaunen. Wir wandern an kleinen Seelein vorbei, bei denen unzählige kleine Frösche leben. Ich muss sie vor den Händen meiner jüngeren Tochter retten, die sie am liebsten mit nach Hause nehmen möchte, weil sie «sooo herzig» sind. Auch zwei Wiesel und noch viel mehr Murmeltiere leisten uns auf dem Weg Gesellschaft.
Nach etwa drei gemütlichen Wanderstunden kommen wir zum Passo della Greina. Dort lockt ein weiteres Highlight: Der Greina-Bogen. Auf einer als hochalpin markierten Wanderung laufen wir hinunter in die Ebene und bestaunen die Formen, die Wind und Witterung im Kalkgestein hinterlassen haben. Für einen Moment fühle ich mich in die Nationalparks im Südwesten der USA versetzt. Nach rund 15 min erblicken wir den Arco della Greina, eine beeindruckende, rund 40 m weite Öffnung.
Von dort wandern wir über Stock und Stein und mit Hilfe unserer Hände zur Scalettahütte. Die Kinder finden das Erlebnis toll, ich schicke ein paar Stossgebete Richtung Himmel und bin dankbar, dass wir unversehrt in der Hütte ankommen.
Am nächsten Morgen geht es dann fröhlich und mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit bis nach Pian Geirett im Val Camadra und mit Bus und Postauto zurück nach Hause.